Plain Talk

Wer meine letzten Einträge verfolgt hat, könnte den Eindruck gewinnen, ich sei ausschließlich zu meinem Vergnügen in Kairo. Das entspricht jedoch keinesfalls den Tatsachen. Nein, ich bin vor allem hier, um einen Arabisch-Kurs zu besuchen. Das nimmt - inklusive Hausaufgaben, die ich natürlich brav mache, um meinem "Streber"-Image gerecht zu werden... - bereits 5 Stunden eines normalen Tages hier ein. Und zwar von 8 Uhr morgens an. Keine einfache Übung für eine Langschläferin wie mich!

 

Daneben versuche ich, die ein oder andere Person zu sprechen, die mich inhaltlich weiterbringen könnte. Das klappt jetzt in der zweiten Hälfte meines Aufenthaltes wesentlich besser als in der ersten.

 

Heute hatte ich ein solches Gespräch. Eines, dass mich auch persönlich stark beeindruckt hat. Ich habe mich mittags im alten und traditionsreichen Kaffeehaus Estoril in der Schara Talaat Harb mit dem ehemaligen Sprecher von Sadat getroffen. Der Kontakt kam über mehrere Ecken zustande und gestaltete sich anfangs sehr schwierig. Ich bin sehr froh, dass es am Ende doch noch geklappt hat.

 

Dr. Mursi ist inzwischen 88 Jahre alt, was ich ihm allerdings nicht ansehen konnte. Außer eines Gehstocks weist kaum etwas auf sein Alter hin. Bereits seit 1981 ist er im Ruhestand. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass er sich seitdem zur Ruhe gesetzt hätte. Im Gegenteil, er gibt noch immer mehrere Zeitungen bzw. Zeitschriften heraus, unter anderem Egypt Today, schreibt eine Kolumne (Plain Talk) in der englischsprachigen Al-Ahram Weekly und ist auch sonst sehr aktiv. 30 Jahre lang war er der Vorsitzende der ägyptischen Sektion des Pen-Clubs.

 

Seit 40 Jahren frequentiert er fast täglich das Kaffeehaus Estoril, isst dort zu Mittag, trifft alte Kollegen und Freunde und redet mit ihnen vorzugsweise über sein Lieblingsthema: Ägypten. Und dazu hat er auf Grundlage seiner Erfahrung eine Menge zu sagen. Aus allen seinen Äußerungen spricht seine Verehrung für Sadat, dem er vor allem den Frieden mit Israel hoch anrechnet. Und die ersten Friedensgespräche mit den Israelis, bei denen er auch dabei war, fanden ausgerechnet im Oberoi Hotel in Giza statt, in dem ich mit Henning übernachtet hatte!

 

Er hat eine Unmenge Staatsoberhäupter getroffen, Konferenzen und diplomatische Meetings organisiert, Schriftsteller und Künstler aus der ganzen Welt getroffen und ist dabei nicht arrogant und weltfremd geworden, wie es bei einigen neureichen Ägyptern, die ich hier beobachten konnte, der Fall ist. An seinem Handgelenk prangt keine goldene Rolex, er ist höflich, charmant und äußerst zuvorkommend. Ein Gentlemen der alten Schule, der mich interessiert nach den Opern, Theatern und Museen in Ostberlin befragte, die er noch aus seiner Zeit als Kulturattache in der ägyptischen Botschaft in der DDR (Ende der 1970er) kannte.

 

Und natürlich überhäufte er mich mit Ideen und Vorschlägen, und mit Literaturhinweisen und Kontaktangeboten. Niemand, der hier in der Politik eine Rolle spielt, den er nicht kennt. Zumindest flüchtig. Inwieweit das für meine Arbeit verwendbar sein wird, muss sich noch herausstellen. Aber die Chance, mit ihm noch ein paar Stunden über ägyptische Politik früher und heute, ägyptische und deutsche Kultur oder die Gepflogenheiten der Kairoer Bevölkerung zu sprechen, werde ich mir nicht entgehen lassen.

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Jens (Mittwoch, 22 Juli 2009 15:53)

    Ich bin beeindruckt! Die meisten Persönlichkeiten sind, wie Du ihn beschreibst. Freue mich für Dich! Bis bald, ich tauche wieder ab in den Klausurenstreß.