Besuch in der Totenstadt

Eine Stadt auf dem Friedhof: Für mehr Fotos auf das Bild klicken!
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Als ich über Ostern Gerhard Haase-Hindenbergs Buch "Das Mädchen aus der Totenstadt" las und vor einigen Wochen auch den Dokumentarfilm über dessen Entstehung ansehen durfte, ging ich davon aus, dass mir ein Blick in diese verborgene Welt auf den Friedhöfen Kairos verwehrt bleiben würde. Die riesigen und unübersichtlichen muslimischen Friedhöfen, auf denen Zehntausende Menschen wohnen, gelten nicht unbedingt als ein Ort, wohin sich ein einzelner Tourist, schon gar keine einzelne TouristIN verirren sollte. Aber dann kam es doch anders.

 

Bei meinem Besuch des koptischen, des "alten" Kairos, einem Komplex, der mehrere Kirchen, eine Museum und eine Synagoge beherbergt, stieß ich zufällig auf den Eingang zu einem großen griechisch-orthodoxen Friedhof. Und der sah nun, entgegen meiner Erwartungen, genauso aus, wie Haase-Hindenberg es in seinem sehr empfehlenswerten Buch über die moslimischen Friedhöfe beschreibt: Über den Grabkammern sind kleine Häuser gebaut, in denen die Angehörigen an Feiertagen für ihre Toten beten können. In einigen dieser Häuser leben jedoch Menschen. Zum Teil leben sie über den Grabkammern ihrer Angehörigen. In einigen Fällen leben sie einfach dort, wo Platz ist und Wasser- und Stromleitungen verlegt wurden.

 

Während meiner Wanderungen über den Friedhof begegnete ich einem körperlich stark beeinträchtigten, mittelalten Mann, der anscheinend als Grabwächter tätig war. Er lud mich in sein "Haus" ein und diese Gelegenheit konnte ich mir, trotz aller Sicherheitsbedenken, einfach nicht entgehen lassen. Ich setzte mich auf sein "Sofa" in seiner kleinen Wohnstube, in der er auch schläft. Während er mir den obligatorischen Tee kochte, ließ ich meinen Blick über seine ca. 12 Quadratmeter schweifen. Es gibt natürlich einen Fernseher, gleich neben der Wand mit Ikonen und Bildern von seinem Vater und koptischen Kirchenführern. Links neben dem Fernseher geht es in die kleine Küche, die über Strom- und Wasseranschluss verfügt. Auch ein Ventilator ist an der Decke der Behausung angebracht.

 

Mit meinen wenigen Brocken Arabisch konnte ich immerhin erklären, was ich in Kairo mache, wo ich dort wohne, wie lange ich bleibe. Und, ganz wichtig, dass ich natürlich verheiratet bin! Nein, noch keine Kinder, wegen des Studiums...(-:

 

Während der gesamten Zeit in der Wohnstatt des Grabwächters wurde ich das seltsame Gefühl nicht los, dass sich einstellt, wenn man sich auf einem Friedhof befindet. Unter meinen Füßen lagen immerhin die Gebeine seines Vaters! Die Menschen, die in den Totenstädten leben, denken darüber vermutlich nicht nach. Sie sind einfach froh, dass sie in dem Moloch Kairo ein Dach über dem Kopf haben. Es ist allerdings eine Schande für Kairo, dass es Menschen zwingt, an einem solchen Ort leben zu müssen!

 

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